Stell Dir vor, Du empfängst den verlustpunktfreien Ligaprimus zum Topspiel in heimischen Gefilden und gewinnst. Besser noch, Du schickst ihn mit der größtmöglichen „Packung“ nach Hause. Was würde nach so einem Speil wohl abgehen? Die Lutzi? Bierdusche? Mucke-Alarm jenseits der 120 Dezibel? Bei den Johannesberger-Jungs herrschte kollektive Schockstarre. Nicht mal ein einziger Jubelschrei war zu vernehmen. Wie konnte das sein? Fangen wir vorne an…..
Pünktlich um 16:00 Uhr war es angerichtet. Das Buffett für das Spiel der Spiele. Die zweite Mannschaft des PBV Limburg, bis dato souverän durch die Liga marschiert, gastierte in Johannesberg. Als Aufsteiger aus der Bezirksliga hatten sie sich eigentlich nur den Klassenerhalt als Ziel gesetzt und trieben seitdem ihre Gegner an den Rand der Verzweiflung. Bei den Gastgebern fehlte „The Captain“ Rainer Perlak aus beruflichen Gründen, so dass sich bereits vorab keine Wechseloptionen ergaben. Mit Wessel, Nuarez-Gonzalez, Wildner und Wiegand stellte sich dennoch ein starkes Team dem Tabellenführer entgegen. Was sich nun ereignete, erscheint selbst im Nachhinein noch derart surreal, dass sich selbst „Billard-Allesfahrer“ kaum an ein vergleichbares Match erinnern konnten. Da wäre zunächst mal Roger Schramm von den Gästen. Bis dato hatte er lediglich in seinem Auftaktmatch zu Saisonbeginn eine knappe Niederlage kassiert und räumte danach alles ab, was abzuräumen war. Er verlor am Samstag sowohl im 10-Ball (1:5 gegen Wildner), als auch im 8-Ball (1:5 gegen Wessel) mehr als deutlich. Seine Mannschaftskollegen teilten in der Folge ein ähnliches Schicksal.
Aus Johannesberger Sicht drehte Wolfgang Wessel einen 2:4 Rückstand im 9-Ball gegen Riemenschneider und gewann 6:4, Daniel „Gonzo“ Nuarez-Gonzalez holte den Sieg im 8-Ball mit 5:3, nachdem er ein längeres Save-Duell zum Ende der Partie für sich entschied. Lediglich im 14/1 drohte Ungemach, da „Coach“ Stephan Wiegand mit gefühlt 200er Puls und exorbitanten Adrenalinwerten an den Tisch trat und nach eigener Aussage in den ersten 10 Aufnahmen körperlich „nicht anwesend“ war. Zu seiner Überraschung nutzte Gegner Reichel die sich ihm bietende Chance nicht und der Rückstand hielt sich im Rahmen. Wiegand pegelte sich auf normal Niveau herunter und übernahm die Kontrolle. Am Ende sprang ein letztendlich ungefährdeter 75: 28 Erfolg heraus und die Hausherren führten 4:0 zur Pause. Schon da fing es an sich komisch anzufühlen.
Im Vorfeld wurden einige Eventualitäten besprochen, wie man vielleicht umstellen könnte/ sollte. Doch was bespricht man in der Halbzeit bei einem glatten 4:0? Ein Ergebnis, welches bei niemanden auf dem Zettel stand. Der „Coach“ brach das Schweigen im Walde und appellierte in perfekter Mathias-Sammer-Motzki-Manier an seine Mitspieler: „Wir haben noch nichts erreicht, höchstens das Unentschieden und das reicht eben nicht!“. Also weiter mit Plan A und der daraus resultierenden Aufstellung. In der Tat gab es Spiele, welche nach einem „zu Null“ zur Pause noch Remis endeten. Nicht so oft, aber eben doch realistisch. Doch wenn du einen Lauf hast, dann kann nichts schief gehen. Die drei großen W´s, Wildner, Wessel und Wiegand steuerten in Rekordtempo drei weitere Matchpunkte bei. Dabei gewann Wildner gegen Reichel 6:0 im 9-Ball, Wessel gegen Schramm 5:1 im 8-Ball und Wiegand gegen Riemenschneider 5:2 ziemlich zeitgleich. Lediglich im 14/1 kam so allmählich Spannung auf, die einem Spitzenspiel würdig war. „Gonzo“ und Möbus duellierten sich erneut auf Augenhöhe und keiner der Kontrahenten konnte sich absetzen. Viel klein-klein und ein zerfahrenes Spiel, jedoch ultraspannend. Oft ist es zu beobachten, dass ein Spieler seinen Fokus verliert, wenn die Begegnung, in diesem Fall sogar deutlich, entschieden ist. Nicht so hier. Als ginge es noch um alles, fighteten sie um jeden einzelnen Punkt. Nachdem es auf der Zielgeraden noch immer ausgeglichen stand, fasste sich Möbus als erster ein Herz und setzte zu einer längeren Serie an. Seine Körpersprache vermittelte, dass er nicht gewillt war noch einmal abzusetzen. Läppische 5 Punkte fehlten ihm noch, als er doch unerwartet eine Kugel verschoss. Nuarez-Gonzalez sprang förmlich an den Tisch, musste jedoch feststellen, dass sein Gegenüber ihm nichts liegen gelassen hatte. Handgestoppte 5 Minuten, gefühlte 2 Stunden überlegte der Johannesberger, ob er eine komplizierte Kombination auf die Mitteltasche angeht oder nicht. Er sagte sie letztendlich an und erzeugte bei einigen der mittlerweile zahlreichen Zuschauern zunehmend bleicher werdende Gesichter. Man hätte die vielzitierte Stecknadel fallen hören können. Die Kugel klapperte im Tascheneinlauf hin und her und schien zu überlegen, ob es ihr im dunklen Keller denn gefallen würde. Dennoch fiel sie und „Gonzo“ setzte jetzt zu seiner Serie an. Normalerweise bekannt als „Bauchspieler“, welcher schnelle und gerne auch mal impulsive Entscheidungen am Tisch trifft, hangelte sich Nuarez-Gonzalez quasi im Schneckentempo von Kugel zu Kugel. Am Ende schaffte er es über die Ziellinie, gewann mit 75:70 sein Spiel und sorgte für einen denkwürdigen 8:0 Erfolg der „Reserve der Johannesberger Reserve“.
Und nun? Herrschte wieder Schweigen. Zwar gab es vereinzelt Glückwünsche, in Partylaune war jedoch keiner der Spieler. „Zu deutlich“ brach es dann aus „Motzki“ Wiegand heraus. Der „Coach“ mahnte bereits das nächste Spiel an, welches schon am 02.02. an gleicher Stelle gegen den Ex-Bundesligisten 1.PBC Karben stattfindet. Doch bevor er sich mit Sätzen wie: „Wir müssen von Spiel zu Spiel denken. Der nächste Gegner ist immer der Schwerste. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Es gibt keine leichten Gegner.“ in Rage redete, wurde er liebevoll von seinen Mannschaftskollegen mit einem alkoholfreien Bierchen ruhiggestellt. Obwohl. Es sei nicht unerwähnt, dass manchmal so ein Traumergebnis Segen und Fluch zugleich sein kann. Es kann beflügeln und einen längeren rauschhaften Lauf auslösen, jedoch auch lähmen, wenn man den einen oder anderen glücklichen Umstand als gegeben hinnimmt und dabei vergisst, dass es letztlich nur ein Spiel ist bzw. eines war.
Vielleicht ging all das den Johannesberger-Jungs durch den Kopf, vielleicht waren sie auch einfach nur K.O., weil sie alles gegeben hatten. Und so bleibt sie am Ende doch ein wenig rätselhaft, die kollektive Schockstarre.